Ob diese weit verbreiteten Vorurteile stimmen, sei dahin gestellt. Betrachten wir das Verhalten der Gen Z im digitalen Raum aber aus einer anderen Perspektive, können wir uns viele der ihnen zugeschriebenen Eigenheiten nutzbar machen. Die neue Perspektive: Die Generation Z erlebt nicht nur den technologischen Wandel hautnah, sie programmiert das gesellschaftliche Betriebssystem systematisch neu und nutzt Schwachstellen in traditionellen Systemen aus.
Identitäts-Remix
Die Generation Z ist die erste Generation, die das Konzept von Identität und „Selbst“ als modulares, hackbares System betrachtet. Dabei geht es weniger darum, sich selbst zu entdecken, sondern verschiedene Selbstversionen strategisch für verschiedene Zielgruppen einzusetzen – Gleichaltrige, Familie, potenzielle Arbeitgeber.
Die Identität ist nicht festgelegt, sondern wird kontinuierlich A/B-getestet und auf Grundlage des Echtzeit-Feedbacks digitaler Kanäle optimiert. Die vielbeschworene „Authentizität“ ist eher eine gekonnte Inszenierung, die den Erwartungen bestimmter Peergroups entspricht, als eine feststehende Wahrheit. Das zeigt sich zum einen in der zunehmenden Verbreitung von Social-Media-Personas für verschiedene Zielgruppen, die teils frei erfunden sind, und zum anderen in der fließenden Anpassung an die neuesten Trends in verschiedenen Communities.
Algorithmisches Bewusstsein als soziale Kompetenz
Der Umgang mit diesen verschiedenen digitalen und fluiden Identitäten in unterschiedlichen Gemeinschaften und kulturellen Kontexten erfordert ein tiefes Verständnis der Funktionsweise algorithmisch gesteuerter Social-Media-Plattformen. Das reicht von der Entschlüsselung des TikTok-Empfehlungsalgorithmus für persönliche Sichtbarkeit bis hin zum Verstehen und Adaptieren zahlreicher kultureller Codes in diversen Gen Z Communities – wie Gaming, Sport oder Promi-Fandoms. Für die Generation Z wird Plattformkompetenz zu einer grundlegenden Eigenschaft, um Algorithmen zum persönlichen Vorteil zu nutzen, sei es für den Einfluss auf die Peergroup oder für den Arbeitsmarkt.
Kulturelle Neuausrichtung
Genauso wie die Generation Z den Algorithmus und die verschiedenen Facetten ihrer selbst im digitalen Raum geschickt einsetzt, lenkt sie auch Inhalte gezielt in eine Richtung, die ihren Vorlieben und Bedürfnissen entspricht. Memes und Humor haben alle Aspekte der Kommunikation durchdrungen, und das ganz unabhängig vom Thema. Sie sind zugleich Unterscheidungsmerkmal und Gatekeeper der Gen Z und dienen als Bewältigungsmechanismus und kritisches Werkzeug zur Auseinandersetzung mit den Absurditäten der realen Welt. Kulturelle Normen, die in typischen Gen-Z-Umfeldern verbreitet sind – von Fandoms bis hin zu Online-Streaming – sind zu Mainstream-Unterhaltungsklassikern für alle Generationen geworden.
Marketing für die Gen Z: Zeit für eine neue Authentizität
Authentizität gilt schon lange als zentraler Pfeiler in der Marketingstrategie für die Generation Z. Angesichts der Tatsache, dass diese Generation fließende Identitäten im digitalen Raum nutzt, sich an kulturelle Normen anpasst – je nach Peergroup und Umständen – und Mainstream Contents beeinflusst, müssen Marken ihre Strategien überdenken.
Es wird immer wichtiger, Botschaften, Visuals und Zielgruppen an aktuelle Umstände und Trends anzupassen. Absurder Humor, um sich abzuheben, und die tiefe Verbundenheit mit verschiedenen digital-kulturellen Communities gewinnen massiv an Bedeutung. Für die Generation Z könnte „Markenauthentizität“ ganz einfach bedeuten: Marken gewinnen an Zustimmung, indem sie die Methoden der Gen Z übernehmen, um ihre digitale Präsenz zu gestalten.
Wir können in unseren alten Mustern und Vorurteilen verharren oder die Perspektive wechseln. Wir als Millennials, Gen X und Y oder Boomer müssen die Realität akzeptieren: Es ist die Welt der Generation Z – wir leben lediglich in ihr.