Best Trends: Benedikt, im House of Communication Berlin entwickelt Ihr zusammen mit dem ehemaligen Journalisten Christoph Keese strategische Unternehmensnarrative für CEOs und Unternehmen. Was genau ist denn ein Narrativ?

Benedikt Göttert: Narrative sind sinnstiftende Erzählungen. Sie transportieren Werte und Emotionen und sie stellen Legitimität her, indem sie mit allgemein anerkannten Grundsätzen in den Köpfen der Empfänger:innen resonieren. Nach Daniel Kahnemann wirken Narrative vor allem auf das schnelle, intuitive Denken. Gute Narrative umschiffen den rationalen Verstand und werden für wahr gehalten, noch bevor der rationale Verstand im Cortex des Gehirns – das langsame Denken – den objektiven Wahrheitsgehalt überprüfen kann. Verantwortungsbewusstes Handeln von Unternehmen setzt daher zwingend voraus, diese Methode wahrhaftig einzusetzen, also nur Narrative zu verwenden, die objektiv wahr sind, also der Überprüfung durch rationales, kritisches Denken Stand halten.

 

Best Trends: Ist ein Narrativ nicht nur ein trendigeres Wort für Story?

Benedikt Göttert: Viele benutzen das Wort synonym, es meint aber tatsächlich etwas anderes. „Rotkäppchen und der böse Wolf“ ist beispielsweise eine klassische Story, also eine Abfolge von Ereignissen mit einem Anfang, einem Höhepunkt und einem Ende. Ein Narrativ ist dagegen ein System aus Stories, die ein überspannendes Dach bilden, das auf ein gewünschtes Ende zuläuft, aber noch kein Ende hat. Das Narrativ wird dabei von vielen Stories getragen, die alle auf dieselben Botschaften, Schlüsse und Learnings einzahlen. „The American Dream“ ist ein Beispiel für ein solches Narrativ, das durch unzählige Geschichten erzählt werden kann.

 

Best Trends: Wie geht ihr bei der Entwicklung eines Narrativs vor?

Benedikt Göttert: Ein Narrativ nimmt Elemente und Informationen aus der realen Welt und setzt sie in einen fiktionalen Zusammenhang, der wiederum in die reale Welt gebracht wird, um diese zu vereinfachen oder zu verändern. Die Grundlage starker Narrative sind Mythen, Märchen, Sagen, Legenden oder Fabeln, die tief in unserem kollektiven Gedächtnis und unserer Kultur verankert sind und die uns Geborgenheit, Gewissheit, Einordnung und Gemeinschaft ermöglichen und uns an etwas glauben lassen. Auf dieser Grundlage, verwoben mit der Unternehmensgeschichte und der Unternehmensstrategie, definieren wir Schlüsselattribute und memetische Sätze, die auf diese Attribute einzahlen.

 

Best Trends: Memetische Sätze?

Benedikt Göttert: Meme sind nach einer Theorie des Evolutionsbiologen Richard Dawkins Gedanken, die sich evolutionär in einer Kultur so fortpflanzen wie Gene in der Biologie. Meme sind also Sätze, die den Kopf nicht mehr verlassen, wenn sie einmal gehört worden sind. Gute Witze sind klassische Beispiele für Meme. Sie verbreiten sich in Windeseile viral und werden nie wieder vergessen. Kommunikation von Unternehmen und Führungspersönlichkeiten bringt idealerweise memetische Sätze hervor, die stil- und sinnprägend für die Absender:innen werden. „Never change a winning Team“ ist ein solcher memetischer Satz. Oder „Es wächst zusammen, was zusammengehört.“ Es klingt für uns automatisch wahr, auch wenn es gerade vielleicht genau richtig sein kann, das Team zu wechseln.

 

Best Trends: Wer braucht ein solches Narrativ?

Benedikt Göttert: Transformation ist das große Thema unserer Zeit – in Digitalisierung, Sustainability, Unternehmensprozessen – eigentlich im ganzen Denken unserer Gesellschaft. CEOs, die eine Transformationsstrategie umsetzen möchten, brauchen den Rückhalt von zahlreichen Stakeholdern, etwa Mitarbeiter:innen und Führungskräften, dem Aufsichtsrat, den Aktionär:innen, den Kund:innen, den Business-Partner:innen, dem Betriebsrat. Sie alle muss ein:e CEO davon überzeugen, ihm/ihr und seiner/ihrer Strategie zu folgen. Dabei hilft der fundierte Glaube an ein Management und eine Strategie.

 

Best Trends: Und worin liegt der Unterschied zu einer klassischen Werbekampagne?

Benedikt Göttert: Eine Kampagne im klassischen Sinn kann Reize setzen und Impulse auslösen. Ein Narrativ kann ganze Glaubenssätze und Verhaltensweisen verändern. Anders formuliert: Eine gute Kampagne erkennt man daran, dass man sie erkennt. Ein gutes Narrativ erkennt man daran, dass man es nicht erkennt, ihm aber trotzdem folgt.

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