Ende der Kreativität oder neue Ära?

Die Kreativbranche kann eines der ersten Felder sein, in dem generative Künstliche Intelligenz einen Durchbruch bzw. eine gravierende Veränderung bewirkt. Hoffnungen und Ängste liegen eng beieinander – und schon ist vom «Ende der Kreativität» die Rede. Aber entspricht das wirklich der Realität? Oder schafft KI nicht sogar Raum für neue Kreativität?

 

1839 wurde in Paris die erste Daguerrotypie präsentiert, ein Vorfahre der Fotografie. Maler*innen bangten um ihre Existenz, allen voran Porträt- und Landschaftsmaler*innen, die versuchten, die Realität abzubilden. Abstrakte, gegenstandslose oder auch Performance-Kunst, wie wir sie heute kennen, waren vor knapp 200 Jahren kaum vorstellbar.

 

Künstliche Intelligenz (KI) stellt viele Kreativberufe vor einen ähnlichen Wendepunkt – aber branchenübergreifend und in allen Werksbereichen. Grafiken, die hübsch aussehen, Texte und Musikstücke, die gut klingen, und sogar passable Filme und 3D-Ansichten lassen sich von Laien immer einfacher produzieren. Strategien? SWOT-Analysen? Alles wird greifbarer für alle.

 

Es spricht Vieles dafür, dass sich die Geschichte wiederholt. Wenn auch in einem wesentlich rasanteren Masse: Bestimmte Arbeiten werden automatisiert und damit für die Masse verfügbar. Gleichzeitig steigt der Wunsch, sich genau aus dieser Masse wieder abzuheben. Es entsteht Luft nach oben, ein Zugzwang und damit Raum für Neues – allerdings nur für diejenigen, die die neuen Werkzeuge nutzen.

 

Und genau das bedeutet Kreativität: Etwas zu schaffen, was neu ist oder originell. Und seien wir ehrlich: Kreativität hat schon immer (mit Stolz!) geklaut und kopiert, um daraus Neues zu schaffen. Man nennt es «Inspiration». Ist KI da so viel anders?

 

Wie sieht Kreativität aus im Zeitalter von KI?

 

Eine KI wie ChatGPT und Kreativität leiden unter dem gleichen Vorurteil: Die Magie steckt nicht im Ergebnis, sondern im Prozess. Die meisten KI-Tools sind ein Dialog, keine Google-Suchmaske, die die Antwort auf eine Frage liefert. KI fängt an nützlich zu werden, wenn man sie nicht nur befragt, sondern auf ihre Antworten reagiert; wenn man Kontext liefert, Beispiele, vor- und zurückverweist, experimentiert, wagt, falsche Dinge sagt bzw. schreibt, sich missversteht oder auch einfach: indem man die richtigen Fragen stellt. Der Chat mit der KI ist wie jeder andere Dialog auch: gedankenloser Input = bestenfalls durchschnittlicher Output – von Zufallstreffern abgesehen.

 

Ebenso ist ein gutes Bild, Claim oder filmische Erzählung nur die Spitze des Eisberges. Wir wagen zu wetten, dass es noch nie eine (gute) kreative Idee für ein Problem bzw. Briefing gab, die einfach so fertig ausgespuckt wurde. Kreativiät ist ebenfalls ein Prozess, ein Dialog mit sich selbst und mit anderen. Für das Ergebnis ist entscheidend, mit wem dieser Dialog geführt wird, welche Erfahrungen einfliessen, wer wie zuhört, worüber gesprochen wird und wie man in diesem Dialog aufeinander reagiert. Wünschenswert ist, wie bei jeder neuen Technologie und bei jedem bevorstehenden Wandel, dass wir neugierig sind und ausprobieren, explorieren, welches Potential sich uns bietet. Und nicht ängstlich auf die Zukunft blicken, die sowieso kommt – ob wir hingucken wollen oder nicht.

 

Wir sind überzeugt: Mit KI ist eine vielseitige und schnell agierende Gesprächspartnerin in den Kreativ-Dialog eingestiegen. Und wir sagen: Herzlich willkommen!

 

Autor*innen: Katsche Platz, Creative Director bei Serviceplan DCNTRL, und Nina Matzat, General Manager bei Serviceplan DCNTRL

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