Nach 25 Jahren Leben und Arbeiten im Silicon Valley habe ich den Rhythmus und das Muster technologischer Veränderungen hautnah miterlebt – von den Anfängen des Internets bis hin zum Aufstieg von E-Commerce, Suchmaschinen, Mobilfunk, sozialen Medien, Streaming und Cloud Computing. Jeder technologische Wandel bringt Ängste, Unsicherheiten, Pausen und Rückschläge mit sich. Aber ehe man sich versieht, findet man sich in einer Welt wieder, die von neuen Technologien und Systemen geprägt ist, mit innovativen Geschäftsmodellen und neuen Branchenführern.

Jetzt befinden wir uns mitten in der KI-Revolution. Die gleichen Fortschrittsängste und Bedenken tauchen wieder auf: rechtliche, ethische, organisatorische Fragen, ROI, und vieles mehr. Noch schlimmer: Die Angst, dass KI nur eine weitere Technologieblase ist wie das Metaversum oder Blockchain. Im Silicon Valley nennen wir das die „Mauer der Sorgen“ („Wall of Worry“).

Erinnern Sie sich noch an frühere Bedenken – etwa: „Niemand wird seine Kreditkarte auf einer Website hinterlegen“, „Amazon wird keine Spielzeuge pünktlich zu Weihnachten liefern können“ oder „Wer wird sich einen Film auf einem Computer anschauen?“ Silicon-Valley-Unternehmen lieben die „Mauer der Sorgen“. Während andere zögern, Taskforces und Komitees bilden, entwickeln sie neue Geschäftsmodelle, Prozesse und Plattformen.

Was können wir also daraus lernen, wie Unternehmen im Silicon Valley Veränderungen annehmen, sie vorantreiben und sich in schnell wandelnden Technologiemärkten behaupten? Und wie können wir diese Erkenntnisse nutzen, um Menschen in Organisationen zu motivieren, sich mit KI auseinanderzusetzen?

Lektion Eins: Klein anfangen und mit Pilotprojekten starten

MVPs (Minimum Viable Products), Use Cases und Pilotprojekte sind die Eckpfeiler des Lean-Startup-Ansatzes im Silicon Valley. Indem wir ein spezifisches Geschäftsproblem identifizieren und ein überschaubares, risikoarmes Pilotprojekt starten, schaffen wir die beste Basis, um Organisationen vom KI-Einsatz zu überzeugen.

Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeit, die Serviceplan in seinen zwei AI Labs gemeinsam mit grossen globalen Fashion Brands leistet. Diese Marken haben erkannt, dass generative KI erhebliche Kosteneinsparungen und Verbesserungen der Warenkorb-Konversionsraten ermöglicht, wenn sie zur Erstellung von Bildern und Texten eingesetzt wird. Sie sind aber auch besorgt darüber, wie sich KI auf die Authentizität ihrer Marke auswirkt und ob KI die ästhetischen Standards ihrer Marke erfüllen kann.

Deshalb haben wir mit diesen Unternehmen Pilotprojekte gestartet. Diese Projekte helfen ihnen, Prozesse zu entwickeln, um die Qualität von KI-generierten Bildern zu überprüfen und ihre Systeme entsprechend anzupassen. Sobald sie mit den Ergebnissen zufrieden sind, setzen wir die Bilder auf ihren Websites und in der Kommunikation mit Kund:innen ein. Bei Erfolg erweitern wir den Einsatz auf ihren gesamten globalen Modekatalog.

Kleinere Pilotprojekte bieten mehrere Vorteile: Man beginnt, mit sich schnell verändernden KI-Tools und -Technologien zu arbeiten, daraus zu lernen und Vertrauen aufzubauen. Kleine Pilotprojekte liefern Anhaltspunkte und Fallstudien für die Geschäftsleitung und den Vorstand. Überhaupt anzufangen und nachzuweisen, dass man KI einsetzt, ist manchmal genauso wichtig wie die tatsächlichen Ergebnisse der Arbeit.

Lektion zwei: Kosten vor Wachstum

In Zeiten der Unsicherheit sollte man sich zuerst auf Kosten und Effizienz konzentrieren, dann erst auf das Wachstum. Was kaum einer weiss: Grosse technologische Umbrüche wie Cloud Computing, das mobile Web und bezahlte Suchmaschinenwerbung fanden während wirtschaftlicher Abschwünge statt. Bei finanzieller Unsicherheit suchen Unternehmen vermehrt nach Technologien, die Kosten senken und ihre Margen verbessern können.

Wenn deutlich wird, dass ein KI-Pilotprojekt die Kosten in Bereichen wie Kreativproduktion, digitalem Design oder Mediaautomatisierung erheblich senkt, wird es einfacher, Führungskräfte und Vorständ:innen zu überzeugen, KI-Initiativen zu genehmigen. Für einen grossen globalen Kunden entwickeln wir gerade einen neuen Prozess für KI-basierte Videowerbung, der es erlaubt, hochwertige Webespots kostengünstiger und schneller zu produzieren. Sobald wir die Kosteneffizienz nachgewiesen haben, können wir uns darauf konzentrieren, diese Innovationen für weiteres Wachstum zu nutzen.

Lektion drei: Alles neu denken –„Dream big“

Unternehmer:innen im Silicon Valley nutzen ihre ersten MVPs und Use Cases, um zunächst mehr über ein spezifisches Problem zu lernen. Auf Grundlage dieser Erfahrungen erkennen sie bereits das grössere Potenzial für umfassende Systeme und Geschäftsabläufe. Mit jedem Pilotprojekt beginnt man zu erkennen, wie sich KI-Technologien auf einen eng begrenzten Funktionsbereich auswirken werden, aber auch, wie sich die Technologie auf ganze Marketingsysteme und Unternehmensprozesse übertragen lässt.

Ein Beispiel: Mit Serviceplan Generate.AI, unserem agentureigenen, datenschutzkonformen generativen KI-Tool für Bildgenerierung, kann KI zum Beispiel in Kreationsprozesse eingebunden werden. Wenn man aber beginnt, die Verbindung dieser KI-generierten Bilder zu Mediakanälen und kreativer Optimierung zu berücksichtigen, wird das Potenzial für grössere Effizienzgewinne und Skalierung im gesamten Mediasystem deutlich.

Mit zunehmender Erfahrung können verschiedene KI-Techniken im gesamten Marketing-Ökosystem eines Unternehmens angewendet werden, was verbesserte Möglichkeiten für die Kund:innenbindung eröffnet.

Die finale Lektion: Sei schnell!

Geschwindigkeit und Agilität sind entscheidende Erfolgsfaktoren im Silicon Valley: Dinge ausprobieren, Dinge erschaffen, Fehler machen, lernen, sich anpassen.

Denken Sie daran: „Perfektion ist der Feind des Guten“. Normalerweise planen wir, lernen und handeln im Anschluss. Doch in der KI-Revolution muss das Paradigma umgedreht werden: Machen, lernen, und dann erst planen!

Während der letzten Tech-Revolution forderte ein berühmter Silicon Valley-Unternehmer sein Unternehmen auf, „schnell zu handeln und Dinge zu zerstören“. Im aktuellen KI-Momentum sollten wir ein neues, positiveres Motto annehmen: Schnell handeln und Dinge erschaffen.

Los geht‘s — der Zukunft auf der Spur!

Autor: Rob Wrubel, Co-Founder und Managing Partner von Silverside AI

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