The Interface is NOT the Brand
In der aufziehenden Post-Screen Ära sind neue Verbindungen zwischen Marken und Menschen nötig. Ein Selbstläufer wird das nicht. Doch es gibt wirksame Massnahmen, mit denen es gelingen kann.
Peter Schäfer, Chief Strategy Officer bei Serviceplan Suisse, bringt es auf den Punkt: «Menschen interessieren sich immer weniger für Marken. Es geht um die Schnittstelle. Das hat sich bei Uber gezeigt. Das Unternehmen hat einen Skandal nach dem anderen erlebt, ist aber immer noch erfolgreich, weil die Nutzer*innen die einfach zu bedienende Schnittstelle lieben. Ist das das Ende der klassischen Kommunikation? Nein. Für neue Märkte und Marken sollte man immer mit einem Bottom-up-Ansatz beginnen. Sich darauf konzentrieren, den Kunden ein grossartiges Erlebnis zu bieten. Und die Marke durch Empfehlungen der Kunden ausbauen. Die alte Sichtweise des Marketings, bei der Marken versuchen, sich in den Massenmedien zu etablieren, um den Absatz anzukurbeln, ist überholt. Der wahre Weg, eine Marke aufzubauen, ist ein ausserordentliches Kundenerlebnis, um das herum dann der taktische und technologische Medienmix organisiert wird.»
Ein gutes Beispiel sind die AirPods. Sie beweisen, dass für Interaktionen zwischen Mensch und Maschine grafische Displays nicht zwingend nötig sind. Im Gegenteil: In vielen Fällen – wie in diesem – sind kontextbewusste Systeme sogar besser. Nimmt man einen Kopfhörer aus dem Ohr, stoppt die Wiedergabe, setzt man sie wieder ein, geht es weiter. Per Doppeltipp lassen sich weitere Funktionen wie das Überspringen nutzen: Obwohl die Oberfläche begrenzt ist, wurden hier extrem nützliche Funktionen untergebracht, mit denen der Mensch mit seiner digitalen Musikbibliothek in einer Unterwegs-Situation sehr zweckmässig interagieren kann. Diese Art von kontextbewussten Interfaces ist längst nicht die einzige Schnittstelle zwischen Technologie und Individuum, um besondere – mitunter sogar magisch anmutende – Erlebnisse zu schaffen. Kund*innen von KFC in China können beispielsweise ihr Essen bezahlen, indem sie ins Bestellterminal lächeln. Der Gesichtsscanner überprüft die Identität und ersetzt das klassische Kassenterminal. Services wie Smile-to-Pay zeigen nicht nur die technischen Möglichkeiten, sondern haben neben dem praktischen Nutzen einen Marketingeffekt und können neue Nutzer*innen anlocken.
Reden, lachen, winken
Eine Fülle weiterer Interaktionsmöglichkeiten laufen den lange verbreiteten Eingaben auf grafischen Displays inzwischen den Rang ab. Zum Beispiel verbreiten sich Sprach- und Gestensteuerungen rasant. Auch haptische Interaktionen sind auf dem Vormarsch. Spezielle Sensoren erinnern Patient*innen an ihre Medikation oder können automatisch Hilfe rufen, Rauchmelder lassen sich durch Gesten deaktivieren und das Licht wird im gesamten Haus automatisch ausgeschalt, wenn man es verlässt. Interaktionen durch die Umgebung, mit Hilfe von Emotionen oder über so genannte Brain-Computer-Interfaces sind die Zukunft. Viele Prozesse sind bereits heute möglich, ohne dass der Mensch sie bewusst anstossen muss.
Interaktionsmöglichkeiten, die begeistern
Erst kürzlich präsentierte Audi auf der Münchner IAA ein Konzeptauto, das seine Nutzer*innen kennenlernt. In Sachen Bedienbarkeit hat der Autohersteller nahezu das komplette Spektrum an Interaktionsmöglichkeiten ausgerollt: Eyetracking sowie Gesten- oder Sprachsteuerung sind für bestimmte Funktionen ebenso integriert wie Handschrifteingabe oder Berührungsfunktion: In allen Bedienmodi stellt sich das Fahrzeug auf die jeweiligen Insass*innen ein und lernt nach und nach deren Präferenzen sowie häufig genutzte Menüs. Es kann auf dieser Basis nicht nur rudimentäre Befehle sinnvoll ergänzen, sondern auch individuelle Vorschläge unterbreiten. Dank der künstlichen Intelligenz erkennt das Auto seine Fahrer*innen sogar am Gang, öffnet automatisch die Türen und begrüsst sie mit einer individuellen Inszenierung der Anzeigen und der Innenbeleuchtung.
Wie die Beispiele zeigen, werden die Interaktionsmöglichkeiten zwischen Geräten und Nutzer*innen vielfältiger. Und die Entwicklung verdeutlicht auch, dass in der aufziehenden Post-Screen Ära neue Verbindungen zwischen Marken und Verbraucher*innen nötig werden. Die Herausforderung besteht darin, diese neuen Zugänge zu formen und zu entwickeln. Im Sinn der Marke und der Menschen, die diese Interaktionen durchführen sollen. Damit dies gelingt, können folgende Massnahmen ergriffen werden:
1. Interdisziplinär Lösungen erarbeiten
Neue Interaktionsmöglichkeiten zu einer Marke zu etablieren, kann nur gelingen, wenn Expertise unterschiedlichster Disziplinen zusammenkommt. Von der Datenanalyse über die Software-Entwicklung bis hin zum Industriedesign müssen die Spezialist*innen zusammengebracht werden, um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Dieses interdisziplinäre Arbeiten wird in Zukunft öfter nötig sein, als man heute vielleicht vermutet.
2. Die Marke als Service ansehen
Unternehmen sollten ihre Marke als Dienstleistung betrachten. Was ermöglicht der Brand seinen Kund*innen? Was ist deren Benefit? Sollen neue Interaktionsmöglichkeiten etabliert werden, müssen diese Aspekte von Beginn an in den Mittelpunkt der Überlegungen gerückt werden.
3. Das menschliche Verhalten im Kontext verstehen
Damit Interaktionsmöglichkeiten nicht ins Leere laufen, müssen die Welt der Kund*innen und die Welt der Produkte und Services verschmelzen. Dazu sollte man zunächst den Kontext, in dem die Dienstleistungen oder die Produkte genutzt werden, analysieren und verstehen. In welcher Situation geschieht dies, in welcher Umgebung, in welchem technischen Ökosystem? Gleichzeitig müssen Marken die Nutzungssituation genauer betrachten. Welche Aufgaben sind zu erledigen, was ist dabei das Ziel? Nur wenn beide Seiten – die Produktwelt und die Nutzer*innen-Welt – übereinandergelegt werden, lassen sich entsprechende Produkte mit einer hohen Usability entwickeln, die zur Marke passen und Erlebnisse schaffen.
4. Den Produktionszyklen anpassen
Da es sich um technische Schnittstellen handelt, sind die Entwicklungszeiten zu berücksichtigen. Eine neue Hardware benötigt etliche Prozessschritte: vom Problem Framing und der Idee- und Design-Entwicklung über die eigentliche Entwicklungsarbeit bis hin zur Produktion. Der Gesamtprozess dauert in der Regel 1.5 Jahre – oder länger. Die Software-Entwicklung hingegen ist schneller, hier dauert es meist vier Monate plus X bis zur neuen Lösung. Wenn eine Marke also neue Technologien und Software in ihre Produkte oder Umgebungen integrieren möchte, müssen diese Produktionszyklen beachtet werden.
5. Neue Form der Etikette berücksichtigen
Die Services der Zukunft schliessen automatisierte Aktionen ein, die sehr nah an der Bedienung passieren. Diese Interaktionen sind sehr individuell und persönlich. Darum sollten Marken besondere Formen der Etikette einhalten. Hier die wichtigsten Tipps:
• Statt Verbraucher*innen zu bevormunden, ist ein diskretes Vorgehen und Empathie gefragt.
• Undeutliche Optionen schrecken ab. Marken dürfen Verwender*innen nicht verwirren, indem sie ihnen irgendeine Art von Interaktion anbieten. Die neue Option muss zum gegebenen Zeitpunkt oder in der jeweiligen Umgebung für den Agierenden relevant, zielgerichtet und angemessen sein.
• Unternehmen sollten ihre Nutzer*innen in Bezug auf die neuen Verbindungen nicht «erziehen», sondern als Berater fungieren und ihnen eher Tipps und Ratschläge geben.
• Auch wenn wir Automatisierung lieben und gerne Dinge wie von Zauberhand geschehen lassen – eines darf keinesfalls passieren: Den Benutzer*innen alle Entscheidungen abnehmen. Es muss immer eine Chance bestehen, die Automation manuell zu überschreiben.
Damit wird deutlich: Es kommt nicht darauf an, lediglich neue Interfaces zwischen Marken und Menschen zu kreieren. Vielmehr gilt es, den Kontext und die Beziehung zu gestalten, die jemand zu einem bestimmten Produkt oder einer bestimmten Marke hat.
Autor: Christian Waitzinger, Chief Experience Officer Plan.Net Group
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